PARIS 1955
DEUTSCHE ABSTRAKTE IM ZENTRUM DER MODERNE
Deutsche Abstrakte in Paris – und das im Jahr 1955! Die im Pariser Cercle Volney gezeigte Ausstellung „Peintures et sculptures non figuratives en Allemagne d’aujourd’hui“ war ein echtes Novum und wurde bereits im Vorfeld von den Zeitgenossen in Deutschland kontrovers diskutiert. Sie gilt heute für die deutsche Kunstgeschichte als legendär. 70 Jahre nach dem denkwürdigen Ereignis wird die Pariser Schau erstmalig in einer Museumspräsentation rekonstruiert und umfassend gewürdigt. In der Ausstellung sind wichtige künstlerische Positionen der 1950er-Jahre wiederzuentdecken, die heute zu Unrecht nahezu vergessen sind.
Die bemerkenswerte Schau mit 98 Werken von 37 abstrakten Künstlerinnen und Künstlern versammelte schon 1955 im Cercle Volney nahe der Pariser Oper nur zehn Jahre nach Ende des Nationalsozialismus die wichtigsten künstlerischen Positionen ihrer Zeit.
Bis dahin war es nach Ende des Zweiten Weltkriegs nur wenigen deutschen Künstlerinnen und Künstlern gelungen, Kontakte zu Galerien sowie Kritikerinnen und Kritikern im Nachbarland Frankreich zu knüpfen. Werke in Gruppen- und Einzelausstellungen in Paris, der damaligen Welthauptstadt der Kunst, zu präsentieren, ermöglichte aufstrebenden Künstlerinnen und Künstlern wie Brigitte Meier-Denninghoff, Emil Schumacher und Karl Otto Götz, aber auch den schon etablierten Kollegen wie Willi Baumeister, Ernst Wilhelm Nay und Fritz Winter nichts weniger als einen internationalen Durchbruch.
Die Ausstellung im Cercle Volney präsentierte die Spielarten abstrakter Kunst, die in der Mitte der 1950er-Jahre in Westdeutschland vertreten waren. In der Rekonstruktion entsteht somit ein facettenreiches Bild der abstrakten Nachkriegskunst, die neben den bekannten auch Wiederentdeckungen von Künstlerinnen und Künstlern bereithält. In der Rückschau liegt die Besonderheit der Ausstellung jedoch nicht nur darin, dass Kunst aus Deutschland gezeigt wurde. Viel bedeutender ist die Tatsache, dass die jüngeren Teilnehmerinnen und Teilnehmer heute als die Hauptvertreter des Informel gelten. Zu ihnen gehören neben Götz und Schumacher unter anderen die Maler Fred Thieler und K. R. H. Sonderborg oder Brigitte Meier-Denninghoff und Norbert Kricke aus dem Bereich der Bildhauerei. Ihre Namen sind aus heutiger Sicht nicht aus der Kunstgeschichte der deutschen Nachkriegszeit wegzudenken. Im Jahr 1955 war ihre künstlerische Ausdrucksweise noch revolutionär.
Organisatoren waren der Pariser Galerist René Drouin und der Vorsitzende des Westdeutschen Künstlerbundes Wilhelm Wessel. Dass die informelle Kunst in den 1950er-Jahren in Deutschland aber noch neu und nicht unumwunden anerkannt war, belegt gerade die spannungsvolle Entstehungsgeschichte der Pariser Ausstellung. So wurde etwa das antihierarchische Ausstellungskonzept Wessels und Drouins von offiziellen Stellen in Deutschland massiv hintertrieben. Die Ausstellung wurde schließlich entgegen allen Widerstands am 7. April 1955 eröffnet und in der französischen und deutschen Presse begeistert aufgenommen. Den Künstlerinnen und Künstlern aus Deutschland wurden von staunenden Kritikerinnen und Kritikern ein internationales Niveau, Vielfältigkeit und Ausdruckskraft bescheinigt. Drouins und Wessels Beitrag zum deutsch-französischen Kulturtransfer ist daher kaum zu unterschätzen. Ihnen ist in Paris eine Ausstellung gelungen, die zu diesem Zeitpunkt in Deutschland kaum möglich gewesen wäre.
Für die Hagener Ausstellung, die in Kooperation mit der Forschungsstelle Informelle Kunst am Kunsthistorischen Institut der Universität Bonn, durch Dr. Anne-Kathrin Hinz als Gastkuratorin gemeinsam mit Rouven Lotz, Direktor des Emil Schumacher Museums, konzipiert wird, werden die Rollen der beteiligten Institutionen und Personen in den historischen Kontext gestellt. Insbesondere das anti-hierarchische Ausstellungskonzept von Drouin und Wessel im Cercle Volney steht hierbei im Vordergrund.