Ernst Ludwig Kirchner (1880–1938) Bildnis Erich Heckel, 1910, überarbeitet nach 1923/24 (datiert »1908«) Öl auf Leinwand Ernst Ludwig Kirchners Bildnis Erich Heckel aus dem Jahr 1910, das er mehr als zehn Jahre später noch einmal überarbeitet hat, zeigt den befreundeten Maler und Mitstreiter in der Künstlervereinigung »Brücke« in lebensgroßer Darstellung als elegant gekleideten Herrn am Rande einer Parkanlage spazierend. Das Gemälde entstand in Dresden am Ende eines Sommers, den die »Brücke«-Künstler Kirchner, Heckel und Pechstein an den Moritzburger Seen verbrachten. Zu den zahlreichen Gemälden des Sommers – oft als Gruppenporträt arrangierte Aktdarstellungen der Künstler selbst mit ihren Begleiterinnen inmitten der Natur – steht das Bildnis Erich Heckel als deutlicher Gegenpol. Seriös und vornehm gekleidet, zeigt Kirchner ihn hier als städtischen Flaneur in dunkelblauem Anzug mit Weste, gestärktem weißem Hemdkragen und Bowler-Hut, unter dessen Krempe sich eine ordentlich geschnittene Frisur abzeichnet, passend zum gepflegten Schnurr- und Kinnbart. Allein die rote Farbe der Krawatte mag für die damalige Zeit als gewagt gelten. Weniger wie ein Künstler, sondern mehr als junger Geschäftsmann erscheint der Dargestellte im Gemälde. Selbstbewusst, entschlossen und lässig zugleich schreitet Heckel voran, die rechte Hand fast wie zum Handschlag angehoben. Es entsteht der Eindruck, als wolle er aus dem Bild heraus am betrachtenden Gegenüber vorbeispazieren, um schließlich doch zum Gruße zu stoppen. Kompositorisch wird der Eindruck des aus dem Bilde heraus Schreitenden durch das eigenwillige Verhältnis von Figur, Grund und Format erzielt. Auf der schmalen hochrechteckigen Leinwand drängen die verkürzte Bodenfläche und die an vielen Stellen angeschnittenen Hintergrundformen, insbesondere Bäume und Sträucher des Parks, die Figur stark nach vorne und durch die diagonale Anlage des Weges zugleich nach unten. Das Bildnis Erich Heckel weist hohe formale wie inhaltliche Ähnlichkeiten zu den Ganzfigurenporträts elegant gekleideter Herren von Edvard Munch auf. Am deutlichsten tritt dies in Munchs Porträt Harry Graf Kessler von 1906 in Erscheinung. Auch die Darstellung Kesslers ist ein extremes Hochformat; die Figur steht aufrecht in dunkelblauem Anzug mit Hut auf einer angeschnittenen, das Bild diagonal durchlaufenden gelben Fläche. Die »Brücke«-Künstler kannten die Malerei Munchs gut. Mehrfach bemühten sie sich um gemeinsame Ausstellungen mit dem von 1902 bis 1908 in Deutschland lebenden Norweger, die jedoch nie zustande kamen. Vor diesem Hintergrund lässt sich Kirchners Zitation der Munch’schen Porträtdarstellungen als bissiger Kommentar der Enttäuschung lesen: Wo Munch in einer Phase künstlerischen Erfolges mit zahlreichen Porträtanfragen den kunstverständigen Mäzen und Politiker Harry Graf Kessler malt, porträtiert Kirchner einen Mitstreiter der eigenen Künstlergruppe, so als sei die »Brücke« vor lauter Erfolg nicht auf die Unterstützung durch einen Mäzen angewiesen. So zieht der dargestellte Heckel wenigstens im Gemälde mit dem vermögenden und kulturpolitisch einflussreichen Kessler gleich. Ernst Ludwig Kirchner, Bildnis Erich Heckel, 1910, Osthaus Museum Hagen, Fotografie: Achim Kukulies, Düsseldorf |