Wilhelm Morgner, Selbstbildnis XVI, 1912, Osthaus Museum Hagen, Fotografie: Achim Kukulies, Düsseldorf


Wilhelm Morgner (1891–1917)
Selbstbildnis XVI, 1912
Öl auf Karton


Wilhelm Morgners Selbstbildnis XVI aus dem Jahre 1912 ist keine der klassischen Gattung Porträt entsprechende mimetische oder repräsentative Darstellung. Dennoch ist es ein Selbstbildnis. Anstelle einer naturalistischen Abbildung seiner Person übersetzt Morgner das Selbstverständnis seines Wesens mit den Mitteln der Farbe. Und anstelle der Repräsentation eines sozialen Status tritt die Repräsentation einer künstlerischen Haltung. Der westfälische Maler inszeniert sich als Expressionist par excellence und verwendet dabei jene Ausdrucksmittel des Expressionismus, die eher das Innerste zum Ausdruck bringen, als dass sie die äußere Form wiedergeben.

Der Tradition des klassischen Porträts folgend, wählt Morgner den Ausschnitt bis unterhalb der Schultern. Das Gesicht im Bildzentrum wird durch blau-schwarze Pinselstriche, die Kopfhaar und Bart markieren, kranzförmig eingefasst. Die gelbe Grundfarbe hebt sich leuchtend hervor und verleiht dem Gesicht einen strahlenden Ausdruck, wenngleich die Miene kritisch bleibt. Augen, Mund und Nase sind grob mit dickem, schwarzem Pinselstrich ausgeführt, Farbakzente in Blau und Rot schaffen eine formale Verbindung zwischen Gesicht und Hintergrund. In gleichmäßigen kurzen Schraffuren ist die grüne Farbe aureolenartig um den Kopf aufgetragen, bezeichnet dabei aber keinen räumlichen Tiefengrund, sondern eine rhythmisch strukturierte Farbfläche. Als Komplementärkontrast zu dem satten Grün fungiert das Rot der Schultern als optische Basis, die allerdings keine körperliche Plastizität suggeriert, sondern wie das Grün zweidimensional verbleibt. Beide Farbflächen sind in ähnlich pastosem Duktus ausgeführt und erhalten so eine strukturelle Verbindung, wenn auch der Pinselstrich nicht einheitlich geführt ist. Vor jeder Gegenständlichkeit beansprucht die Farbe selbst, Motiv zu sein; Materialität und Produktion des Werkes werden vor Augen geführt. Vollkommen losgelöst von jedem realistischen Abbildungsanspruch, ist die Farbe ein autonomes Bildmittel.

Während Morgners frühere Werke noch einer naturalistischen Beschreibung verpflichtet sind, ist das Selbstbildnis XVI von 1912 als expressionistisches Bekenntnis zu deuten. Die Nähe zu den französischen Malern der »Fauves« sowie zu den Vertretern des »Blauen Reiters«, mit denen er gemeinsam ausstellte, sind unverkennbar und manifestieren sich in der reduzierten Formensprache, dem pastosen Pinselauftrag und den kräftigen Ausdrucksfarben. Wie Franz Marc, den er 1911 in Berlin kennenlernte, wurde auch Morgner im Ersten Weltkrieg als Soldat eingezogen. Er fiel 1917 in einer Schlacht in Langemark. Von einer Vorahnung der Schrecken des bevorstehenden Kriegs ist in der farbkräftigen und ausdrucksstarken Darstellung aus dem Jahr des Kriegsausbruchs jedoch nichts zu erkennen.